Ruhe an der Insolvenzfront

Pressemitteilung KSV1870

Ruhe an der Insolvenzfront

Österreich wartet auf das „echte“ Wachstum und den Anstieg der Unternehmenspleiten

(Hochrechnung)

Wien, 21.09.2017 – Die vorläufige Insolvenzstatistik des KSV1870 zeigt für die ersten drei Quartale des Jahres 2017 einen Rückgang der Unternehmensinsolvenzen um fast 5 %. Die Zahl der betroffenen Dienstnehmer ging gegenüber dem Vergleichszeitraum 2016 um fast 18 % zurück und die Passiva wurden sogar mehr als halbiert.

Der KSV1870 präsentiert wie gewohnt zum Quartalsende hochgerechnete Insolvenzzahlen. Diese zeigen an allen Fronten einen Rückgang. Im Detail sieht dies so aus, dass sowohl eröffnete Insolvenzverfahren (- 5,3 %) als auch mangels Vermögens nicht eröffnete Verfahren (- 4,2 %) über Unternehmen deutlich zurückgingen. Das resultiert in einem Minus der Unternehmenspleiten von 4,8 % gegenüber den ersten Quartalen 2016. Mit 11.500 Dienstnehmern waren 17,8 % weniger Menschen von der Pleite ihres Dienstgebers betroffen und die Forderungen der Gläubiger in diesen Verfahren sanken um 53 % auf EUR 1.083 Mio.

Wird das Gespenst der Insolvenz unser schönes Österreich bald zur Gänze verlassen?
Dr. Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte des KSV1870: “Dieser Rückgang ist zweifellos dem historisch einmalig niedrigen Zinsniveau geschuldet. Und jedermann weiß, dass diese Zinsen nicht ewig so niedrig bleiben können. Man erwartet, dass die Wirtschaft in absehbarer Zeit aus sich heraus wächst und nicht nur mittelbar durch die Exportmaschine Deutschland. Erst wenn heimische Unternehmen investieren, wird es wirklich zu einem Wachstumsschub kommen. Und der wird dann rasch die Nachfrage und damit die Inflation heben. Also: Sobald das erhoffte Wachstum eintritt, werden die Insolvenzen wieder anziehen (müssen).“

Starke regionale Unterschiede
Der Blick auf die Bundesländer zeigt, dass der Rückgang unterschiedlich verteilt ist: Zweistellig rückläufige Zahlen (Steiermark: - 14 %) stehen einem zweistelligen Zuwachs in Niederösterreich (+ 14,5 %) gegenüber. Diese Divergenzen dürfen jedoch den Blick auf das Wesentliche nicht verstellen, und das ist: Die Insolvenzfälle werden laufend kleiner. Waren vor 10 Jahren noch durchschnittlich 6 Dienstnehmer pro eröffneten Insolvenzverfahren betroffen, ist diese Zahl mittlerweile auf 5,1 gesunken. Daher darf in diese Divergenzen nicht zu viel „hineingelesen“ werden. Es scheint eher so, dass diese kleinen Fälle von Jahr zu Jahr in den Bundesländern etwas oszillieren: In 2016 hatte Niederösterreich einen Rückgang entgegen dem Bundestrend und verzeichnet jetzt ein Plus – Tirol hatte letztes Jahr einen Zuwachs und weist jetzt einen Rückgang auf. Ein eindeutiger Trend ist in den einzelnen Bundesländern derzeit nicht oder noch nicht erkennbar.

Wenig Neues bei den Branchen

So wenig Überraschung die Gesamtzahlen bieten, so erwartbar ist auch die Liste der am stärksten betroffenen Branchen.

  • Die Bauwirtschaft ist seit Jahren ein steter Gast und ganz vorne zu finden. Auch 2017 belegt sie wiederum den ersten Platz nach der Zahl der Fälle und den zweiten nach der Höhe der Passiva.
  • Unternehmensbezogenen Dienstleistungen – eine Branche mit sehr viel kleinen Unternehmen – firmiert einmal als zweiter und einmal als erster in der Statistik.
  • Das Gastgewerbe findet sich auf dem dritten Platz im Ranking nach der Anzahl der Fälle: Das hat aber nicht primär damit zu tun, dass diese Branche so schlecht gewirtschaftet hätte, sondern schlicht damit, dass es die Branche mit den meisten aktiven Unternehmen ist (ca. 10.000). Gemessen an der Zahl der aktiven Betriebe ist diese Branche sogar unterdurchschnittlich insolvenzgeneigt.
  • Die Branche „Maschinen und Metall“ ist ein Spiegel des industrialisierten Österreich: Es sind vielfach größere Unternehmen mit hoher Kapitalbindung, sodass auch moderate Insolvenzzahlen diese Branche unter die ersten drei „katapultiert“. So kann schon ein einziges mittelgroßes Unternehmen (Biso Schrattenecker GmbH) mehr als ein Viertel der Passiva der gesamten Branchengruppe beitragen.

Entwicklungen auf EU-Ebene
Vergangenen November stellte die EU-Justizkommissarin Věra Jourová einen Entwurf zu einer Insolvenzrichtlinie vor. Diese Richtlinie möchte ein „vorinsolvenzliches“ Verfahren in Europa in harmonisierter Weise einführen und „redlich gescheiterten“ Unternehmern eine rasche und an keine besonderen Quotenerfordernisse geknüpfte Restschuldbefreiung schaffen. Während der vergangenen 10 Monate wurden diese Vorschläge intensiv auf europäischer Ebene in Expertengruppen besprochen. Dieser Entwurf hat zweifellos auch Einfluss in Österreich gehabt und zwar im Zusammenhang mit der Verkürzung der Abschöpfungslaufzeit für eine Restschuldbefreiung und die Auflassung der Mindestquote. Es geschieht nicht selten, dass Mitgliedsländer der EU solche Ideen aufgreifen und möglichst rasch umzusetzen trachten. Sie rechnen sich dabei ein gutes Abschneiden in den Vergleichstabellen aus, die von der Kommission in regelmäßigen Abständen erstellt werden.

Chapter 11 als Vorbild
Das vorinsolvenzliche Verfahren soll nach den Vorstellungen der EU-Kommission rasch und kostengünstig sein und vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen helfen, ihre drohende Insolvenz zu beseitigen. Sieht man sich das Verfahren näher an, das hier von der EU propagiert wird, so fällt vor allem dessen Ähnlichkeit mit dem Chapter-11-Verfahren in den USA auf. Und damit wird schnell klar: Dieses Verfahren wird wahrscheinlich weder rasch noch kostengünstig ablaufen, denn das Chapter-11-Verfahren ist im Grunde nur etwas für sehr große Unternehmen, deren Aktien und/oder Schuldpapiere an der Börse gehandelt werden.

Die EU hält uns auf Trab
Tatsächlich trat allerdings mit Juni/Juli 2017 eine Novelle im Rahmen des IRÄG 2017 in Kraft, die sich ebenfalls mit europäischem Insolvenzrecht beschäftigt, diesmal allerdings mit der EU-Insolvenzverordnung, die mit Wirkung 26. Juni 2017 novelliert worden war, was gewisse Begleitbestimmungen erforderlich macht. Ein wesentliches Kernstück dieser Novelle und der Begleitbestimmungen ist der Umstand, dass in grenzüberschreitenden Insolvenzen der Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens Gläubiger in einem anderen Mitgliedsstaat bevorzugt behandeln darf, wenn er dies für vorteilhaft ansieht und damit ein Sekundärverfahren in diesem anderen Mitgliedsstaat vermieden werden kann (so genanntes „virtuelles Sekundärverfahren“). Diesen Bestimmungen wird einige Bedeutung vor allem in Großverfahren zukommen.

Ausblick auf 2017
Entgegen der Erwartung aus dem Vorjahr sind die Insolvenzzahlen nicht nur nicht angestiegen, sondern sogar mit ca. 5 % rückläufig. Hatte es vor einem Jahr so ausgesehen, als würde die Talsohle durchschritten sein, so sieht es derzeit wieder danach aus. Der Abstand zum Vorjahr dürfte sich letztlich deutlich verringern und aus einem Rückgang von fast 5 % einer von eher 2,5 bis 3 % für das Gesamtjahr werden.

Unternehmensinsolvenzen 1.-3. Quartal 2017

Hochrechnung

 

2017

2016

Veränderung

Eröffnete Insolvenzen

2.236

2.360

-

5,3 %

Nichteröffnete Insolvenzverfahren

(mangels kostendeckenden Vermögens)

 

1.515

 

1.582

 

-

 

4,2 %

Gesamtinsolvenzen

3.751

3.942

-

4,8 %

Geschätzte Insolvenzverbindlichkeiten in EUR

1.083 Mio.

2.315 Mio.

-

53,2 %

Die geschätzten Insolvenzverbindlichkeiten dürfen nicht mit den tatsächlichen Verlusten aus Insolvenzen gleichgesetzt werden. Zu berücksichtigen sind Quotenzahlungen im Rahmen von Sanierungsplänen, Ausschüttungen aus Verwertungen von Konkursmassen sowie Sonderrechte aufgrund von Aus- und Absonderungsrechten.

Betroffene Dienstnehmer 11.500 14.000 - 17,8 %

 

Gesamtinsolvenzen im Bundesländervergleich 1.-3. Quartal 2017

Bundesland

Fälle 2017

Fälle 2016

Veränderung

Passiva 2017

in Mio. EUR

Passiva 2016

in Mio. EUR

Wien

1.269

1.358

-6,6

246

1.200

Niederösterreich

641

560

14,5

160

180

Burgenland

116

131

-11,5

55

40

Oberösterreich

444

461

-3,7

239

161

Salzburg

273

298

-8,4

56

69

Vorarlberg

91

100

-9,0

19

32

Tirol

213

229

-7,0

47

52

Steiermark

460

535

-14,0

154

359

Kärnten

244

270

-9,6

107

222

Gesamt

3.751

3.942

-4,8

1.083

2.315

 

Eröffnete Sanierungsverfahren / Entzug der Eigenverwaltung 1.-3. Quartal 2017 im Vergleich

 

eröffnete

SV m. EV

2017

Verän- derung

zu 2016

Entzug der EV

2017

eröffnete

SV o. EV

2017

Verän- derung

zu 2016

Summe

SV

2017

Verän- derung

zu 2016

Wien

19

19%

4

59

-8%

78

-3%

Niederösterreich

5

0%

0

85

1%

90

1%

Burgenland

1

-75%

0

12

-8%

13

-24%

Oberösterreich

3

0%

1

52

-7%

55

-7%

Salzburg

3

0%

0

13

30%

16

23%

Vorarlberg

2

100%

1

1

-67%

3

-25%

Tirol

6

0%

0

2

-60%

8

-27%

Steiermark

10

150%

6

50

-24%

60

-14%

Kärnten

4

100%

1

17

-23%

21

-13%

Gesamt

53

20%

13

291

-10%

344

-6%

 

Die bisher größten Insolvenzen sind:

Wozabal-Gruppe: Wozabal Management GmbH, Wozabal Textilservice GmbH & Co KG, Wozabal MPZ Medizin- produktezentrum GmbH & Co KG, Wozabal Textile Logistik GmbH & Co KG (alle Linz), Wozabal Sterilgut – Systeme GmbH & Co KG, Wozabal Mietberufsbekleidung GmbH & Co KG (Lenzing)


SV o. EV


EUR


47,0 Mio.

FS Agrartech GmbH (vormals: BISO Schrattenecker GmbH), (Herstellung von Maschinen), Ort im Innkreis

Konkurs

EUR

40,0 Mio.

GAMBIT Privatstiftung, Neudörfl

Konkurs

EUR

26,0 Mio.

GRI Handelsgesellschaft m.b.H. (Großhandel mit

Computerkomponenten), Wien

Konkurs

EUR

24,4 Mio.

STAR AGRO Analyse und Handels GmbH (Großhandel mit

Chemikalien), Allerheiligen bei Wildon

SV o. EV

EUR

18,8 Mio.

KJK Multimedia Handels e.U, Inh. Jörg Kneupper, (An- und

Verkauf von Tonträgern), Schiefling

Konkurs

EUR

14,5 Mio.

RH-Tech Gebäudetechnik und Anlagenbau GmbH, Poggersdorf

Konkurs

EUR

11,2 Mio.

 

Gesamtinsolvenzen nach Branchen

Unternehmensinslovenzen nach Fällen Fälle Passiva in Mio. EUR
1. Bauwirtschaft 651 177,6
2.Unternehmensbezogene Dienstleistungen 633 244,1
3. Gastgewerbe 592 73,0

Gesamtinsolvenzen nach Passiva

Unternehmensinslovenzen nach Passiva Passiva in Mio. EUR Fälle
1. Unternehmensbezogene Dienstleistungen 244,1 633
2. Bauwirtschaft 177,6 651
3. Maschinen und Metall 150,5 140

Wien, 21.09.2017

Insolvenzstatistik für Unternehmen sowie Private

Die Insolvenzstatistik liefert Informationen über alle Insolvenzverfahren Österreichs (eröffnete Insolvenzen sowie mangels Masse abgewiesene Konkursanträge) nach Höhe der Forderungen, aufgeteilt nach Bundesländern, nach Branchen und nach Rechtsformen. Grundlage der Analyse sind einerseits die übermittelten Daten der zuständigen Landesgerichte sowie Bezirksgerichte und andererseits Informationen aus der KSV1870 Wirtschaftsdatenbank. Der KSV1870 erstellt diese Auswertungen regelmäßig zum ersten Halbjahr, zum ersten Halbjahr, für das erste bis dritte Halbjahr sowie eine Jahresauswertung. Zusätzlich gibt ein ausführlicher Insolvenzkommentar einen Überblick über die aktuelle wirtschaftliche Situation Österreichs. Der Vergleich der Insolvenzdaten bildet den aktuellen Stand der Konjunktur ab. Der Auswertung der KSV1870 Insolvenzstatistik liegt ein standardisiertes Verfahren zugrunde, welches regelmäßig die gleiche Art der Analyse liefert und daher die Insolvenzzahlen seit Jahren konsistent abbildet.

Durch die Vergleichbarkeit der KSV1870 Statistiken ergeben sich Interpretationsspielräume, die ein realistisches Bild der zugrundeliegenden Analyse im gesamtökonomischen Kontext widerspiegeln. Eventuell auftretende Abweichungen – bei abgewiesenen Konkursanträgen, eröffneten Verfahren – erklären sich daraus, dass je nach Verfahrensart die Insolvenz einer Firma nur ein Mal pro Jahr gezählt wird. Auch Änderungen der Gerichtszuständigkeit während des Insolvenzverlaufes können leichte Verschiebungen möglich machen.